Fest, cremig, auf Zahnstocher gesteckt, geschmolzen, frittiert, als Scheibe auf dem Brot, pur, gebacken, gerieben, oder einfach nur als Fantasie: Käse ist ein geiler Scheiß. Kein geiler Scheiß hingegen ist sein veganes, kleines Geschwisterkind – so sehr es sich auch abmüht.
Hands down: Vegan kann vieles, aber keinen Käse. Als Ernährung ohne Tierprodukte vor ein paar Jahren noch in ihren westeuropäischen Kinderschuhen steckte, war die Skepsis groß: Keine Butter? Keine Milch? Kein Käse? Waaaaas? Wie soll man denn so etwas Gescheites kochen? Tofu, bah, das schmeckt kein bisschen wie Fleisch! Heute sieht das anders aus. Richtig, Tofu schmeckt nicht wie Fleisch, Tofu schmeckt wie Tofu, und der beste Tofu ist der, der gar nicht erst versucht, ein Stück Fleisch zu sein, sondern der, der schlicht ein geiler Tofu sein will – meistens.
Vegan im Aufwind
Denn wer sich durch die veganen Fleischersätze deutscher Discounter probiert, der findet mittlerweile auch richtig nice Steaks und Geschnetzeltes auf Tofu-Basis. Die Barista-Hafermilch von Oatly ist alles, was Vollmilch immer sein wollte. Veganer Kuchen schmeckt wie Kuchen. Das vegane Ben & Jerry's ruiniert zwar deinen Geldbeutel, aber sobald die Eiscreme auf deiner Zunge landet, spielt das keine Rolle mehr. Nehmen wir den Street-Food-Siegeszug internationaler Küchen in deutschen Großstädten hinzu, die mit Kokosmilch, Erdnuss, Soja(-sauce) und Kichererbsen von Grund auf vegane Anleihen haben, stellen wir fest: Leckeres Essen ist keine Frage von Milch und Butter ... – abgesehen von Käse.
Käse: eine Ode
Käse ist das Gold der Kuh. Das Sahnehäubchen der Pizza. Der beste Freund vom Wein. Das schützende Dach über dem Kopf der Stulle. Der erste nachweisliche, archäologische Fund der Käseherstellung stammt aus der Zeit um 5.500 vor Christus und es ist nicht aus der Luft gegriffen, anzunehmen, dass in der Geschichte des Menschen um 5.500 vor Christus zum ersten Mal tiefe Glücksgefühle empfunden wurden. Als ich zwölf war, habe ich mir einen riesigen Leerdamer zum Geburtstag gewünscht und ich bereue nichts. Käse kann nachweislich süchtig machen und das ist völlig in Ordnung.
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Könnten wir Käse und andere Milchprodukte konsumieren, ohne dabei Kühe in Massenbetrieben quälen, züchten, von ihren Babys trennen, einsperren und künstlich abpumpen zu müssen, wäre es eine paradiesische Welt: Menschen würden glücklich Käse essen, Kühe würden glücklich auf Wiesen grasen. Leider ist die Massentierhaltung eines der größten Verbrechen des Industriezeitalters und wegen der Tierquälerei und den Folgeschäden an der Umwelt durch den CO2-Ausstoß von Kühen, entscheiden sich immer mehr Menschen für vegane Ernährung und verzichten für Tier und Umwelt auf den Geschmack ihrer Träume. Wie Timm Thaler auf der Suche nach seinem verlorenen Lachen, wandeln wir Veganer seitdem ziellos auf der Suche nach einer pflanzlichen Alternative zu unserem verlorenen Lebenselixier.
Veganer Käse – ein Luftschloss
Rückblick, März 2020, irgendeine Straße in Londons Whitechapel, die nicht ganz weiß, ob sie Müllhalde oder hipper Szenetreff sein will. Meine Freundin und ich streunen auf der Suche nach Abendessen durch das Viertel und stehen plötzlich vor einem Laden, der sich als veganes Käseparadies versucht. Eine kleine Vorspeise kann nicht schaden, also fragen wir die Bedienung, ob wir vielleicht ein Mini-Probiertellerchen bekommen könnten. Irgendwas an der Bitte, dass es wirklich nur ein kleiner Teller sein soll, hat der Verkäuferin wohl zu verstehen gegeben, eine riesige Platte aufzutischen. Gut 20 englische Pfund und viel zu viel Käse später, hat sich in Zement gegossen, was auch veganer Käse aus deutschen Bioläden schon nicht überwinden konnte: Veganer Käse kann sehr lecker sein, schmeckt aber weder nach Käse, noch hat er die Konsistenz von Käse.
Dieser Umstand muss nicht zwangsweise das Aus für deine vegane Ernährung bedeuten. Du kannst meiner Meinung nach auch einfach Veganer*in sein und trotzdem (heimlich) Käse essen.
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Hier befinden wir uns an einer Weggabelung. Ein Weg zeigt zum veganen Käse. Kann man Pizza mit veganem Käse machen, die wirklich wie Pizza mit Käse schmeckt? Ist Gouda ohne Tiermilch möglich? Wenn wir daran glauben, dann lohnt es sich, weiter zu forschen. "Beyond Meet", eine Fleisch-Alternative auf Basis von Erbsenproteinen aus dem Silicon Valley hat gezeigt, wie unfassbar nah man damit an den Geschmack und die Konsistenz von Rindfleisch kommen kann. Vielleicht geht das auch mit Molkeprodukten?
Veganer Käse ungleich Käse – peroid?
Der andere Weg wäre die Einsicht, dass Käse einfach Käse ist und veganer "Käse" sehr lecker und vielseitig schmecken kann, aber eben nicht wie Käse. In diesem Fall würden wir veganen Käse als Experiment ruhen lassen und die Kapazitäten von Ernährungschemikern in pflanzliche Innovationen stecken, die sich nicht an Vorlagen aus der moralisch fragwürdigen Welt orientieren. Denn da drückt der Schuh irgendwie doch ein bisschen: So lecker vegane Küche auch ist, so oft versucht sie, sich immer noch an ihrer ungeliebten großen Schwester zu orientieren, der Tierprodukt-Küche.
Wer weiß, wohin die Reise geht? Ich werde jedenfalls keine 20 Pfund mehr auf den Tisch legen, um veganen "Käse" auf Basis von Nüssen und Pilzen zu bekommen, der wie vegane Cremes auf Basis von Nüssen und Pilzen schmeckt. Ich bin down mit veganer Küche, die einfach sie selbst sein will – und wenn ich unbedingt Käse will, dann esse ich halt heimlich Käse.
July 04, 2020 at 02:22PM
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Cremiger Scheiß: Warum veganer Käse einfach nicht geil ist - Noizz.de
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Tofu
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